Was passiert, wenn sich die Organisation, die dich beauftragt, nicht einig ist? Im dritten Teil unserer Gesprächsreihe mit Architekt Adam (ARCH) und Anforderungsmanager Manfred (AM) zeigt sich: Selbst die beste Vorbereitung hilft nur bedingt, wenn bei den Verantwortlichen verschiedene Interessen aufeinandertreffen – und keine klare fachliche Linie vorhanden ist.

Drittes Treffen: Wenn sich die Organisation selbst widerspricht

Ort des Geschehens: Wieder am Spielfeldrand. Zwischen Kaffee, Checklisten und Kopfschütteln.

ARCH: Danke nochmal für deinen Hinweis, ich habe eine Checkliste erstellt und bin diese beim Kunden durchgegangen. Aber auch die hat nicht geholfen. Wir kamen zwar in die Diskussion, aber ich merkte, dass in der Organisation noch nicht viel dazu nachgedacht worden ist bzw. sich nicht alle Ansprechpersonen des Kunden einig waren. Dann habe ich mal nach konkreten Rahmenbedingungen und Qualitätsmerkmalen gefragt. Glücklicherweise hatte ich da auch etwas vorbereitet, das hat dann geholfen.
AM: Ja, jede Kundensituation ist anders. Die einen sind gut darin, Anforderungen zu formulieren. Andere können Anforderungen zumindest diskutieren. Wenn sie beides nicht können, wird es spannend. Aber mit irgendeiner Frage kriegt man sie alle dazu, ihre Anforderungen zumindest so weit benennen zu können, dass sich dadurch der Anforderungsraum konkretisiert und der potenzielle Lösungsraum Stück für Stück kleiner wird. Es ist ein wenig auch eine Kunst, immer die nächste konkreteste und wichtigste Frage zu identifizieren, die das Gegenüber beantworten kann. Und mit jeder Diskussion konkretisiert sich auch das Bild im Kopf, so dass neue Erkenntnisse gewonnen werden und Fragen besser beantworten können. Interessant, dass bei dir die Frage nach den Rahmenbedingungen geholfen hat, einen Einstieg zu finden. Das habe ich so auch noch nicht gesehen.

ARCH: Ja, ja, allerdings habe ich dann gemerkt, dass es auch da noch schwer fiel, weiter zu kommen. Letztlich habe ich im weiteren Gespräch dann festgestellt, dass es einfach noch gar keine Idee gab, wie die zukünftige Software aussehen und funktionieren soll. Und das meine ich nicht technisch, nein fachlich! Alles, was ich hörte, klang  schwammig und an einigen Stellen haben sich die Leute, mit denen ich zu tun hatte, komplett widersprochen. In einer Situation hätten sie sich fast in die Haare bekommen.
AM: Oh, oh: Ich dachte, ihr macht parallel auch die fachliche Anforderungsanalyse? Davon wäre ich jetzt ausgegangen. Es macht ja keinen Sinn, technische Themen zu beleuchten, wenn die Fachlichkeit nicht klar ist.

ARCH: Wiebke, die dafür zuständig ist, war erst krank und dann im Urlaub. Sie legt aber jetzt los. Und du hast ja Recht: Deshalb haben wir auch entschieden, dass ich jetzt erst einmal auf die Ergebnisse von ihr warte, bevor noch irgendwelche Türen ausgehebelt werden.
AM: So schlimm? Hast du eine Ahnung, woran das liegt? Also nicht, dass sich die Leute widersprechen, sondern weshalb sie sich widersprechen?

ARCH: Gute Frage, da habe ich noch gar nicht darüber nachgedacht. Ich denke, sie mögen sich einfach nicht. Keine Ahnung, was da los ist.
AM: Vielleicht haben sie schlicht unterschiedliche Vorstellungen? Ggf. sehen sie eine andere Lösung, weil ihre Rahmenbedingungen anders sind. Es macht z. B. einen großen Unterschied, ob ein Team aus 2–3 oder aus 20 Personen besteht. Man hat ganz andere Herausforderungen und optimiert entsprechend auch ganz anders. Was wurde denn intern bereits kommuniziert und diskutiert? Ggf. dringen die einen mit ihren Wünschen schon in ihrem Team nicht durch. Eine andere Idee wäre, dass alle ihre eigene Agenda im Kopf haben. Du wirst schlecht die Zielvereinbarungen der Mitarbeitenden einsehen können, aber eventuell kannst du ja etwas aus ihrem Verhalten ablesen? Herrscht in der Organisation grundsätzlich Ellenbogenmentalität, dann kann das ein Indiz dafür sein. Es kann aber auch sein, dass aus irgendeiner persönlichen Wertvorstellung heraus, die unabhängig von den Zielvereinbarungen ist, einzelne oder sogar alle Beteiligte ihre Macht im Unternehmen demonstrieren wollen. Es gibt weitere Erklärungen, aber in den allermeisten Fällen sind es entweder unterschiedliche Kontexte, mangelnde Kommunikation oder Kompetenzspielchen – oder die Kombination aus allen dreien. Wenn Wiebke es nicht bereits getan hat, würde ich dir raten, das mit deiner Auftraggeberin in einem offenen Gespräch zu klären.

ARCH: Hmm, verstehe. Deswegen war auch am Anfang so wichtig, dass ich die handelnden Personen, also Ansprechpersonen, Verantwortliche und Entscheidungsebene kennenlerne.
AM: Korrekt. Und nicht nur das Organigramm würde ich studieren, sondern auch die Dynamik hinter diesem Organigramm.

Wenn interne Konflikte die Analyse blockieren

Anforderungsmanagement scheitert nicht nur an fehlenden Informationen – sondern oft an internen Zielkonflikten beim Kunden. Gerade im öffentlichen Sektor mit seinen vielfältigen Stakeholdern kann es passieren, dass es nicht „den einen Kunden“ gibt, sondern mehrere widersprüchliche Sichtweisen innerhalb der Organisation.

Für Berater:innen bedeutet das: Beobachten, analysieren, moderieren. Und vor allem: Geduld haben.

Icon: GlühbirneErkenntnis des Tages: Wer entscheidet, wer spricht – und warum?

Was Architekt Adam in diesem Treffen lernt, ist zentral: Fachlichkeit entsteht nicht im Vakuum, sondern im sozialen Gefüge einer Organisation. Bevor technische Entscheidungen vorbereitet werden können, braucht es ein gemeinsames Verständnis – nicht nur über die Anforderungen, sondern auch über die Rollen, Machtverhältnisse und Kommunikationswege im Kundenunternehmen.


Wie geht es weiter?

Im nächsten Teil wird es noch technischer: Wie lassen sich Anforderungen so strukturieren, dass sie architekturrelevant und kalkulierbar werden? Und welche Informationen braucht man wirklich, um zu schätzen?


Bereits erschienen

Teil 1: Ein neues Projekt und viele offene Fragen
Teil 2: Viele Wege führen nach Rom, aber welchen wollen wir gehen?
Teil 3: Ein Auftrag? Nein, viele! Und alle wollen etwas anderes
Teil 4: Was braucht man wirklich, um zu schätzen?
Teil 5: Testen vergessen?
Teil 6: Analyse, Ausschreibung und Umsetzung – es muss zusammenpassen!
Teil 7: Fazit und Ausblick

Alle Beiträge von Richard Attermeyer

Richard Attermeyer arbeitet als Chief Solution Architect bei OPITZ CONSULTING. Er ist seit vielen Jahren als Entwickler, Architekt und Coach für die Themen Modernisierung, Architektur und agile Projekte tätig und hilft Unternehmen, mit motivierten Teams erfolgreiche Projekte zu realisieren.

Alle Beiträge von Tim Teulings

Tim Teulings ist als Senior Solution Architekt bei OPITZ CONSULTING tätig. Er unterstützt Software-Entwicklungsteams dabei, schnell, einfach und entspannt Software aufzubauen, die perfekt zum Kunden passt. Am Ende stehen Ergebnisse, die der Kunde wirklich haben will – nicht nur eine Version 1.0. Die Themenbereiche Modernisierung und Integration gehören in dieser Funktion zu seinem täglichen Geschäft. Zu Tims Schwerpunkten zählen entsprechende Tools, Frameworks, Methoden, Vorgehen, Architekturen und Techniken.

Foto: Hilko Delonge, OPITZ CONSULTING
Alle Beiträge von Hilko Delonge

Hilko arbeitet bei OPITZ CONSULTING als Lead Business und IT Analyst. Er verfügt über langjährige Erfahrung im Bereich Requirements Engineering und arbeitet hier eng mit den Kunden an der Entwicklung und Formulierung von Fachanforderugnen in Digitalisierungsprojekten. Er verfügt nicht nur über Projekterfahrung, sondern treibt auch die stetige Weiterbildung der Business Analysten voran.

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