Die Smartwatch weckt uns morgens mit einem sanften Vibrieren. Im Halbschlaf greifen wir zum Smartphone – die ersten Push-Nachrichten rauschen über den Bildschirm. Noch vor dem Frühstück ploppen die ersten Termine auf, der digitale Kalender ist bereits ein paar Schritte voraus, und beim Kaffee wird Musik direkt aus der Cloud gestreamt.

Im Büro geht es nahtlos weiter: Outlook, Chats und Videokonferenzen via Microsoft Teams, Anwendungen laufen über die Cloud – als Software-as-a-Service, flexibel, ortsunabhängig und ständig aktualisiert. Digitale Workflows und vernetzte Tools strukturieren den Arbeitstag.

Wir leben in einer Welt, in der Daten fließen wie Strom – unsichtbar, aber allgegenwärtig. Und doch machen sich nur wenige Gedanken darüber, woher dieser Strom kommt, wer den Schalter in der Hand hält – und was passiert, wenn jemand den Stecker zieht.

Was haben die meisten digitalen Dienste heute gemeinsam?

Sie laufen auf Servern von nicht-EU-Anbietern – unabhängig davon, ob diese physikalisch in Europa, den USA oder in China stehen.

Damit entziehen sie sich unserer direkten Kontrolle. So unterliegen Server von US-Anbietern dem US-amerikanischen Recht, insbesondere dem CLOUD Act, der US-Behörden weitreichenden Zugriff auf gespeicherte Daten erlaubt – auch außerhalb der USA.

Ist das ein Problem?
Schauen wir erst einmal weiter …

 

Die Risiken einer digitalen Abhängigkeit sind vielfältig

Privatsphäre war gestern

Seit unsere Phones „smart“ geworden sind, hat sich auch das Geschäftsmodell vieler digitaler Dienste grundlegend verändert: Bezahlt wird nicht mit Euro oder Dollar – sondern mit persönlichen Daten: was auf den ersten Blick kostenlos erscheint, hat einen versteckten Preis: Suchanfragen, Chats, Kontakte, Aufenthaltsorte, Verhaltensmuster und Interessen – all das wird kontinuierlich erfasst, analysiert und kommerziell verwertet.

Reichweite erzeugt Sichtbarkeit

Neben dem Verkauf persönlicher Daten an die Werbeindustrie scheint sich in den letzten Jahren ein weiterer Trend zu verstärken: Immer mehr Menschen nutzen Social-Media-Plattformen als primäre Nachrichtenquelle – und verdrängen dabei, dass sie nur das sehen, was ihnen der Algorithmus vorsortiert: entweder, weil es vermeintlich zu ihren Interessen passt – oder, auch das kommt immer häufiger vor, um gezielt Meinung zu beeinflussen.

Wer die Kontrolle über die Informationskanäle hat, kann auch öffentliche Stimmungen lenken, polarisieren – und Zustimmung für bestimmte politische Narrative erzeugen. Influencer, Plattformbetreiber und Content-Kreateure monetarisieren Aufmerksamkeit – und damit auch Meinungsmache:
Was Reichweite erzeugt, bekommt Sichtbarkeit. Was sichtbar ist, beeinflusst öffentliche Wahrnehmung. Ein subtiler, aber mächtiger Einfluss auf demokratische Willensbildung ebenso wie auf unser gemeinsames Werteverständnis.

Daten sind das Öl der digitalen Gegenwart

Disruptive Geschäftsmodelle – von Airbnb über Spotify bis Amazon – zeigen, wie Datenhoheit über ganze Branchen entscheiden kann. Wer die Daten besitzt, kontrolliert die Schnittstellen zum Kunden, erkennt Muster schneller, automatisiert Entscheidungen – und kann Märkte aufrollen, noch bevor traditionelle Anbieter reagieren.

Und die Entwicklung endet nicht bei Plattformökonomie: Daten sind auch der Treibstoff für KI-getriebene Geschäftsmodelle, die das Potential haben bestehende Wertschöpfungsketten tiefgreifend zu verändern – vom Vertrieb über die Produktion bis hin zu Entscheidungen im Management.

Digitale Infrastrukturen sind längst mehr als nur technische Grundlagen – sie sind wirtschaftliche Hebel, geopolitische Einflussfaktoren und mediale Verstärker. Ob wirtschaftliche Abhängigkeiten, politische Einflussnahme oder der stille Verlust an Privatsphäre: Unsere digitale Realität wirft grundlegende Fragen auf – nach Kontrolle, Verantwortung und Gestaltungsfreiheit.

Genau hier setzt für mich der Begriff der digitalen bzw. Datensouveränität an.
Doch was genau bedeutet er – und warum betrifft er uns alle?

Digitale bzw. Datensouveränität

Digitale Souveränität ist weit mehr als ein politisches Schlagwort. In einer zunehmend vernetzten, datengetriebenen und globalisierten Welt beschreibt sie die Fähigkeit von Individuen, Organisationen und Staaten, über ihre digitalen Infrastrukturen, Daten und Systeme eigenständig und selbstbestimmt zu entscheiden.

Für mich heißt Datensouveränität …

Ich will selbst entscheiden, ob meine Daten in die Cloud wandern – und wenn ja, in welche. Ich will bestimmen, wer Zugriff darauf hat und was diese Personen oder Unternehmen damit tun dürfen. Es geht um meine Privatsphäre, meine Kontrolle – und letztlich auch um meine Freiheit in der digitalen Welt.

Als Unternehmen habe ich viele Anforderungen an digitale Lösungen: hohe Verfügbarkeit, Sicherheit, Flexibilität, Performance und Effizienz. Aber ebenso wichtig sind Kompatibilität, verlässliche Planbarkeit – und echte Wahlfreiheit, auch beim Anbieterwechsel.

Und wenn aus meinen Daten digitale Werte entstehen – sei es durch Auswertung, Automatisierung oder KI – will ich mitentscheiden. Wer profitiert? Wer trägt Verantwortung? Der aktuelle Streit zwischen der New York Times und großen Tech-Konzernen zeigt: Wenn Inhalte und Daten die Grundlage für neue Geschäftsmodelle bilden, stellt sich auch die Frage nach fairer Teilhabe.

Digitale Souveränität beschreibt die Fähigkeit von Staaten, Organisationen oder Unternehmen, digitale Technologien eigenständig zu nutzen, weiterzuentwickeln und strategisch zu gestalten.

Datensouveränität ist dabei ein zentraler Baustein – sie betrifft den verantwortungsvollen, kontrollierten Umgang mit Daten, technisch, rechtlich und organisatorisch.

Wer die Kontrolle über seine Daten verliert, macht sich abhängig.

Wo liegt denn nun der Haken?

Digitale Abhängigkeit hat viele Gesichter. Greifen wir einmal ein Beispiel heraus:
Diese Facette durfte ich 1999 live miterleben – am Anfang meiner Laufbahn in der IT. Es war das Jahr-2000-Problem: Viele Systeme speicherten das Datum nur zweistellig – 99 für 1999, aber was bedeutete 00? Ein scheinbar kleines technisches Detail wurde plötzlich zur großen Herausforderung. Systeme mussten angepasst, Daten migriert, Software überarbeitet werden.

Der eigentliche Aha-Moment lag aber ganz woanders:

Viele Unternehmen merkten, dass sie ihre eigenen Daten nicht einfach mitnehmen konnten. Ihre Daten waren in proprietären Formaten gespeichert und die Hersteller der Systeme wollten sie nur sehr ungern herausgeben – oftmals nur gegen unverhältnismäßig hohe Kosten. Statt Hilfe kam oft ein Angebot für das hauseigene Nachfolgeprodukt. Die eigenen Daten wurden zur Verhandlungsmasse – und die Hersteller bestimmten die Spielregeln.

Das könnte uns heute nicht noch mal passieren, richtig?

Heute – in einer Welt voller Cloud-Dienste, Microservices und „Serverless“-Magie – bin ich erstaunt, wie wenig diese Erfahrung noch zählt. Geschäftslogik wird in proprietäre Cloud-Code-Blöcke gegossen und Daten wandern tief ins Ökosystem eines Anbieters.

Wie gesagt, eine Facette einer Abhängigkeit.

Digitale Abhängigkeit wird zur strategischen Schwachstelle

Mit der Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus und zunehmenden Spannungen zwischen den USA und Europa wird sichtbar, wie abhängig Europa von fremden digitalen Infrastrukturen ist. US-Gesetze erlauben amerikanischen Behörden den Zugriff auf Daten – selbst wenn sie physisch in Europa liegen. Und wenn ein Tech-Gigant aus dem Silicon Valley entscheidet, Preise zu ändern, Dienste einzuschränken oder gar abzuschalten, dann stehen europäische Nutzer:innen oft ohne Einfluss da. Was wir uns gestern nicht mal im Traum vorstellen konnten, ist heute real – da wird die E-Mail-Adresse des Chefermittlers des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) einfach gesperrt. Das ist für mich der Versuch der digitalen Erpressung.

Es geht längst nicht mehr nur um Technik. Es geht um Macht und um die Frage: Wem gehören die Daten, auf denen unsere Wirtschaft läuft, unsere Kommunikation basiert und unsere Innovation aufbaut? Wer darf bestimmen, was mit diesen Daten geschieht – und nach welchen Regeln?

Europa ist in zentralen digitalen Bereichen hochgradig abhängig – von Cloud-Diensten über Kommunikationsplattformen bis hin zur Datenverarbeitung. Die Effizienz dieser Systeme ist unbestritten, doch der Preis dafür ist hoch: ein wachsender Kontrollverlust, wirtschaftliche Risiken und geopolitische Verwundbarkeit.

Deshalb rückt digitale Souveränität zunehmend in den Fokus von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Spätestens seit dem EuGH-Urteil „Schrems II“ und mit neuen Regulierungen wie DSGVO, NIS2 oder DORA zeigt sich: Digitale Souveränität ist kein Ideal – sie wird zur Grundvoraussetzung für rechtssicheren Betrieb, Wettbewerbsfähigkeit und verantwortungsvolle Gestaltung der digitalen Zukunft.

Icon: Zwei Personen und ein FragezeichenWie sollte nun der Weg nach vorne aussehen?

 

Wege zur Daten- bzw. digitalen Souveränität

Hier geht es zu Teil 2 der Blog Serie: Wege zur Datensouveränität


 


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Andreas Lorenz ist Projektmanager und Agiler Berater bei Opitz Consulting. Er hat ein Faible für smarte, digitale Lösungen und beschäftigt sich privat besonders damit, wie sich diese datensparsam und nachhaltig umsetzen lassen.

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