CO2-neutral und energieeffizient arbeitende Rechenzentren sind en vogue. Welcher Anbieter von Cloud-Dienstleistungen mag nicht damit werben, dass seine Services CO2-neutral erbracht oder ausschließlich mit erneuerbaren Energien betrieben werden.

Treiber auf diesem Entwicklungspfad sind aktuell die Hyperscaler von AWS, Google Cloud Platform und Microsoft Azure, die dabei nicht nur auf die Verwendung von erneuerbaren Energien setzen. Die Nutzung energiesparsamer Hardware und die Erhöhung der Effektivität beim Einsatz von Energie bilden aktuell die weiteren Trittsteine dieses Entwicklungspfades.

Wenn wir bedenken, dass Rechenzentren in Frankfurt (Main) für 20% des Stromverbrauchs der Stadt verantwortlich sind und dieser Anteil am Verbrauch tendenziell weiter steigt, erscheint Energieeffizienz nicht von ungefähr als eine erstrebenswerte Eigenschaft jedes Rechenzentrums. Wie gehen also die Hyperscaler vor?

Sparsame Hardware

Energiesparsame Hardware, genauer der Einsatz von ARM-Prozessoren, bildet eine Basis für die Veränderung des CO2-Fußabdrucks der großen Cloud-Anbieter. Während Azure und Google auf Lösungen von Ampere Computing setzen, hat man bei AWS mit der Graviton-Familie eigene Prozessoren entwickelt. Energiesparsam bedeutet bei weitem nicht weniger leistungsfähig. Im Gegenteil: Beide Ansätze – Ampere und Graviton – sind überaus leistungsfähig und vergleichbar. Und sie müssen sich nicht hinter x86-Prozessoren verstecken.

Die großen Anbieter erzeugen mit ihren energiesparenden Lösungen einen Druck auf andere Anbieter von Cloud-Dienstleistungen. Das dürfte mittelfristig dazu führen, dass die Verwendung energiesparsamer Hardware zum Standard wird.

PUE

Wenn ich erkennen will, wie effizient ein Rechenzentrum ist, ist die Stromverbrauchs-Effektivität (PUE – Power Usage Effectiveness) ein guter Startpunkt. PUE beschreibt, wieviel der in einem Rechenzentrum eingesetzten Energie tatsächlich für dessen Kernaufgaben verwendet wird. Je näher dieser Wert an 1 liegt, desto effektiver arbeitet das Rechenzentrum.

PUE = insgesamt verbrauchte Energie / für die Infrastruktur verbrauchte Energie

zum Beispiel

150 GWh / 100 GWh = 1.5    (GWh - Gigawattstunde)

Werte von 1.1 oder 1.2 deuten auf eine exzellente Effektivität hin, Werte von 2 oder höher eher in die entgegengesetzte Richtung. Je größer ein Rechenzentrum ist, desto leichter ist es häufig, eine höhere Effektivität zu erreichen. Eine geringere Effektivität kann beispielsweise durch aufwendige, teure Kühlung der Hardware entstehen.

Die Hyperscaler (AWS, Google und Azure) veröffentlichen die Verbrauchseffektivität ihrer Rechenzentren regelmäßig und erzeugen auch damit Druck auf ihre Konkurrenz. Welcher Anbieter will schon mit einer schlechten Effektivität dastehen, wenn die Konkurrenz weit bessere Werte veröffentlicht? Auch hier können wir erwarten, dass hohe Effektivität zum Standard wird.

Die Erneuerbaren

2022 mussten Microsoft und AWS die Erweiterung ihrer Cloud-Kapazität in Dublin (Irland) verwerfen, weil der dortige Stromversorger keine zusätzlichen Kapazitäten für Elektroenergie aufbringen konnte. Man war unter anderem mit dem Leerkaufen des dortigen Energiemarktes gescheitert.

Nicht nur als Konsequenz aus dieser Entwicklung schließen die Hyperscaler mit Energieanbietern langfristige Lieferverträge (PPA – Power Purchase Agreements) ab, die dafür sorgen, dass keine bereits verfügbare Energie aus dem Markt abgezogen wird, sondern neue Kapazitäten errichtet werden, die dann zusätzlich zur Verfügung stehen.

Wenn die hiesigen Cloud-Anbieter von den Hyperscalern etwas lernen sollten, dann dies:

Das Leerkaufen des Marktes für erneuerbare Energien ist nicht nachhaltig. Die Cloud-Anbieter müssen langfristige Verträge mit Energieerzeugern abschließen, damit diese ihre Kapazitäten für Erneuerbare ausbauen.

Die Notwendigkeit dazu kann früher entstehen als uns heute bewusst ist. Es gibt einen aktuellen Gesetzesentwurf des Wirtschaftsministeriums, nachdem Rechenzentren in Deutschland bis 2027 CO2-neutral sein müssen. Natürlich besteht eine gute Chance, dass dieser Zeitpunkt weiter nach hinten verschoben wird. Aufgeschoben ist aber nicht aufgehoben.

Also alles grün?

Die Initiative der Hyperscaler hin zu erneuerbaren Energien und effektivem Energieeinsatz bezieht sich auf den Energiebedarf für den Betrieb der Rechenzentren. Andere Aspekte bleiben außen vor. Dazu gehören beispielsweise diese drei:

  • Bau von Rechenzentren
    Der CO2-Ausstoß für den Bau eines neuen Rechenzentrums ist immer noch hoch. 2020 erzeugten Bauprojekte ca. 38% der weltweiten CO2-Emissionen. Neu gebaute Rechenzentren haben auch daran ihren Anteil. Ziel muss es sein, künftig bei der Planung und beim Bau neuer Rechenzentren einen vertretbaren CO2-Ausstoß zu erreichen.
  • Kühlung mit Wasser
    Speziell für die Kühlung und die Nutzung der Abwärme der Rechenzentren sind nachhaltige Ideen gefragt. Hier gibt es viel Verbesserungspotential. Ein mittleres Rechenzentrum verbraucht zwischen vier und sieben Millionen Kubikmeter Wasser pro Jahr. Dabei handelt es sich häufig um Trinkwasser.
  • Hardware-Herstellung
    Die Herstellung und der Transport der Hardware, die im Rechenzentrum betrieben wird, ist nicht CO2-neutral. Auch energiesparsame ARM-Prozessoren müssen energieaufwändig hergestellt werden. Hardware ist ein gute Beispiel dafür, dass CO2-Emissionen ganzheitlich über die gesamte Wertschöpfungskette betrachten werden müssen. Nur dann erkennen wir, wo Optimierungspotential liegt.

Zertifizierung mit dem Blauen Engel

Den Blauen Engel als Zertifikat für den energieeffizienten Betrieb von Rechenzentren gibt es seit inzwischen zehn Jahren. Das Zertifikat lässt Energiekosten und Emissionen beim Bau oder bei der Hardwareherstellung aktuell noch vollständig außer Acht.

Fazit

Die Energieeffizienz der Rechenzentren verändert sich gerade rapide. Der Verbrauch erneuerbarer Energien in Rechenzentren steigt ebenso. Gerade deshalb stellt sich die Frage, was das für Organisationen bedeutet, die Cloud-Dienstleistungen anbieten oder nutzen.

  • Neue Energiekonzepte
    Der CO2-neutrale Betrieb aller Rechenzentren in Deutschland wird in wenigen Jahren Realität sein. Das können Unternehmen, die Cloud Services anbieten, über den Kauf von CO2-Emmissions-Berechtigungen erreichen. Wer nicht in den Verdacht geraten will,  Green-Washing zu betreiben, stellt selbst auf erneuerbare Energien um. Energiekonzepte für Rechenzentren mit Blick auf Effizienz und Erneuerbare gibt es viele.
  • Nachhaltige Speichertechnologie
    Die Zukunft der Notstromversorgung von Rechenzentren liegt in Batterien statt in Dieselaggregaten. Dunkelflauten – also Zeiten ohne ausreichende Sonneneinstrahlung und Wind – und Stromausfälle – lassen sich so nachhaltiger überbrücken. Die alten Dieselaggregate für die Notstromversorgung werden in Deutschland ohnehin nicht mehr lange betrieben werden dürfen.
  • Sparsame Prozessoren
    Cloud-Nutzende tun gut daran, sich mit der ARM-Kompatibilität Ihrer Services auseinanderzusetzen. Auch Unternehmen, die hierzulande Cloud Services anbieten, tauschen mit der Zeit die Infrastruktur ihrer Rechenzentren aus. Was liegt da näher, als auf energieeffiziente ARM-Prozessoren zu wechseln. Allerdings nicht jede x86-Anwendung läuft problemlos auf einem ARM-Prozessor.

Hindernis: Energie-Effizienz-Paradoxon

Wird durch die Initiativen von Unternehmen und Hyperscalern hin zu erneuerbaren Energien und effektivem Energieeinsatz alles gut? Leider nein. Wir leben in einer Welt, in der das Energie-Effizienz-Paradoxon (Jevons-Paradoxon) gilt: Technischer Fortschritt – hier der effektive Einsatz von Energie – führt demnach häufig nicht zu Einsparungen. Weil durch den effektiven Einsatz von Energie die Kosten für Cloud-Dienstleistungen potenziell sinken, entstehen neue Bedürfnisse, und es steigt der Verbrauch.

Dass zudem die Digitalisierung in Deutschland sehr viel Energie kostet und den Strombedarf erhöht, ist sicher keine Überraschung. Das bedeutet: Wenn wir erneuerbare Energien einsetzen und Energie effektiv nutzen, können wir das Jevons-Paradoxon abfedern, aber nicht ausgleichen.

Alle Beiträge von Ramon Anger

Seit über 25 Jahren Software Architekt und Entwickler von ganzem Herzen.

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