Kanban for Colleagues

Sind jetzt alle beschäftigt?

Häufig neigen Teams in IT-Projekten dazu, die Auslastung einzelner Menschen zu optimieren. In bester Absicht folgen sie dabei der Prämisse „Wenn jeder Mensch jederzeit vollständig ausgelastet ist, kommen wir am besten voran.“ Leider ist diese Annahme oft trügerisch. Das Gesetz von Little zeigt, wie die Durchlaufzeit von Aufgaben in einem stabilen System ansteigt, wenn der Wert des Work in Progress (WIP), also die Anzahl gleichzeitig verrichteter Aufgaben, zunimmt:

Weshalb ist das problematisch? Die Agilisten haben es bereits erkannt:

Ungünstiger Risikoverlauf

Unter der Annahme, dass jede Aufgabe Wert erzeugt, fällt das mit ihrer Bearbeitung einhergehende Risiko des Misserfolgs erst dann ab, wenn die Aufgabe vollständig bearbeitet wurde. Wenn also die Durchlaufzeit von Aufgaben durch einen hohen WIP-Wert ansteigt, fällt auch das anhaftende Risiko später ab:

Fünf zeitgleich begonnene Aufgaben, die ein Team einzeln in jeweils einer Stunde bearbeiten könnte, werden gemäß Little“™s Gesetz zeitgleich nach fünf Stunden fertiggestellt.

Durch eine Reduzierung des WIP-Wertes verringert sich die Durchlaufzeit einzelner Aufgaben. Werden die Aufgaben dadurch früher abgeschlossen, so fällt deren Risiko und in Folge das kumulierte Gesamtrisiko des Vorhabens früher ab. Unter den vereinfachenden Annahmen, dass Aufgaben voneinander unabhängig sind, im Team effizient bearbeitet werden können und den gleichen Business Value innehalten, stellt sich der Risikoverlauf mit einem geringen WIP-Wert von 1 wie folgt dar:

Fünf nacheinander bearbeitete Aufgaben werden jeweils nach einer Stunde fertiggestellt. Wenn Aufgaben mit einem unterschiedlichem Business Value priorisiert bearbeitet werden, fällt das Risiko im Zeitverlauf noch stärker ab als dargestellt.

Häufige Kontextwechsel führen zu Überlastung

Was das Gesetz von Little nicht zeigt: In einem sozialen System erhöht sich die Durchlaufzeit von Aufgaben überproportional, wenn ein zu hohes oder kein WIP-Limit gewählt wird. Laut Weinberg sinkt in der Wissensarbeit die Produktivität eines Menschen mit jeder zusätzlichen, gleichzeitig verrichteten Aufgabe um 20%. Wird die Kapazität des Gesamtsystems durch Überlastung der darin agierenden Menschen überschritten, bricht die Durchlaufzeit massiv ein.

Fehlende Dringlichkeit zur Beseitigung von Hindernissen

„Mit X geht’s gerade nicht weiter. Also habe ich schon einmal mit Y angefangen.“ Insbesondere in unerfahrenen Teams verringern fehlende WIP-Limits die Dringlichkeit zur Beseitigung von Hindernissen, da stattdessen parallel neue Aufgaben begonnen werden können. Ist hingegen der WIP im System oder in einzelnen Arbeitsschritten limitiert, führen Blockaden oder eine Überversorgung unweigerlich zu einer Unterversorgung an anderer Stelle: Es können keine neuen Aufgaben in das System gezogen werden, bis bestehende Aufgaben das System verlassen haben. Wird das Limit eingehalten, steigt die Dringlichkeit zur kollaborativen Auflösung von Engpässen.

Fazit

Langfristig kann durch WIP-Limits eine Kultur der kontinuierlichen Verbesserung entstehen, in der sich eine Organisation gezielt mit verschiedenen Quellen von Variabilität auseinandersetzt. Sie können auf unterschiedlichen Ebenen eingesetzt werden, z. B. für Personen, Prozessschritte oder ein Gesamtsystem. In der Praxis sind sinnvolle Limit-Werte empirisch zu ermitteln. Diese sollen einerseits fortwährend die Dringlichkeit zur Optimierung des Systems aufrechterhalten, andererseits den Arbeitsfluss nicht zu häufig blockieren.

In diesem Sinne:
Stop Starting, Start Finishing, Visit the Training 😉

Titelbild in Anlehnung an https://bikablo.com/
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